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Alle reden von Gleichstellung und Akzeptanz, aber Deutschland fällt im internationalen Vergleich immer weiter zurück. Bauchgefühl geht vor Rechtsstaat.

Nr 5 - Stonewall Enpowerment Klein

LSBTI*-Menschen irgendwie pervers zu finden, sie als intolerante Meinungsterroristen und Totengräber der christlichen Werte abzustempeln, hat Saison. Die geistigen Ergüsse des katholischen Journalisten Matussek (»Ich bin wohl homophob; und das ist auch gut so«) oder des Ex-Arbeitsministers Blüm, die stolz ihre Abneigung gegen Schwule und Lesben in »Qualitätsmedien« artikulieren, machen die »neue Homophobie« genauso salonfähig, wie die kruden Thesen des schwäbischen Lehrers Gabriel Stängle, der mit seiner Petition gegen den Bildungsplan in Baden- Württemberg 200.000 Unterschriften sammelte und die grün-rote Landesregierung in die Knie zwang: Der Bildungsplan wurde auf 2016 – nach der nächsten Wahl – verschoben. In München, Kassel, Frankreich, ja der ganzen Welt demonstrieren hunderttausende Homogegner im Namen der Moral, der natürlichen – gottgegebenen – Ordnung und zum Schutz der Kinder vor Homo-Propaganda.

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, spricht sogar von »besorgniserregenden Anzeichen« einer »neuen Homophobie«, die schon in der Schule beginnt und alle Gesellschaftsschichten durchzieht. Das alltägliche Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz wird ergänzt von einem starrköpfigen Gesetzgeber. Die CDU ignoriert geflissentlich mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lesben und Schwulen wie auch zum Transsexuellengesetz, bestärkt von Merkels unwohlem Bauchgefühl, wenn diese an Adoptionen durch lesbische oder schwule Paare denkt. Die FDP hatte diesen Kurs, trotz behaupteter Homofreundlichkeit, immer mitgetragen, genauso wie die SPD sich entgegen ihrer vollmundigen Wahlversprechen nun der Unionspolitik unterordnet. Ein Trauerspiel.

Diskriminierung ist in der EU präsenter als gedacht

Laut einer aktuellen Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ist die Situation in ganz Europa »sehr besorgniserregend «. Morten Kjaerum, Direktor der FRA erklärt, dass fast die Hälfte (47 %) der 93.000 befragten Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in der EU im letzten Jahr persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung oder Belästigung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gemacht haben. Ein Viertel wurde Opfer von Angriffen oder Gewaltandrohung. Bei Transgendern liegt dieser Anteil sogar bei 35 %. Die Ergebnisse zeigen ein deutliches Nord-Süd und West-Ost-Gefälle innerhalb der EU. Während in den skandinavischen und Benelux-Ländern etwa ein Drittel der LSBT*- Menschen im letzten Jahr persönlich diskriminiert wurden, waren es in Ländern wie Litauen, Ungarn, Polen, Italien und Rumänien um die 60 %. Lesbische Frauen werden im EU-Schnitt häufiger diskriminiert (55 %) als schwule Männer (45 %).

Vor allem junge Menschen betroffen

Beunruhigend ist insbesondere die Tatsache, dass vor allem die jüngste Altersgruppe von 18 bis 24 am häufigsten (57%) aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert wurde. Angriffe und Androhung von Gewalt gegenüber LSBT*-Menschen sind ebenfalls bei der jüngsten Altersgruppe am häufigsten. Entgegen früherer Vermutungen, dass Intoleranz ein Problem des Alters ist, das sich früher oder später von selbst löst, zeigen die Studienergebnisse, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Erschreckende 91 % aller Befragten gaben an, dass sie im Laufe ihrer Schulzeit bis zum Alter von 18 Jahren negative Verhaltensweisen und Bemerkungen von Mitschülern beobachtet oder gehört haben. Diese Entwicklung ist relativ einheitlich und flächendeckend in der EU zu beobachten und schwankt kaum. Die vielzitierten und problematisierten »schwule Sau«-Pöbeleien in Schulen sind also tatsächlich ein massives Problem in allen europäischen Ländern.

Die negativen Erfahrungen durchziehen alle Lebensbereiche: Schule, Uni, Ausbildungsund Arbeitsplatz, Behörden, Gesundheitseinrichtungen, Öffentlichkeit. Gewalt gegen LSBT* findet sogar am häufigsten an einem öffentlichen Platz statt; die Täter sind in der Regel mehrere Personen, männlich und dem Opfer unbekannt, was für die Polizei äußerst ungünstige Voraussetzungen sind, um sie zu ermitteln. Dazu kommt es allerdings auch deshalb nicht, weil die Diskriminierung oder Gewalt den Behörden oft überhaupt nicht gemeldet wird. Nur 10 % meldeten Diskriminierung am Arbeitsplatz, in Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialeinrichtungen; selbst bei Gewalttaten gehen weniger als ein Viertel der Opfer zur Polizei. Der Hauptgrund für die Nicht-Meldung dieser Vorfälle ist die Überzeugung, dass eine Anzeige »nichts bewirken würde«; an zweiter Stelle stand die Angst vor homo- und transfeindlichen Reaktionen der Polizei.

Die meisten weichen aus

Vor diesen Hintergründen ist es wenig verwunderlich, dass Verstecken und Vermeiden unter LSBT*-Menschen weit verbreitet ist. Besonders junge Menschen haben mit einem offenen Umgang mit ihrer sexuellen Identität Probleme. 67 % verschleierten in der Schule die Tatsache, dass sie schwul oder lesbisch sind. Mehr als zwei Drittel aller Befragten in der EU haben Angst, Händchen zu halten, und die Hälfte gab an, bestimmte Plätze oder Orte aus Angst vor Angriffen oder Belästigung zu meiden.

Gesetzlicher Schutz endet beim (Steuer-)Geld

Sowohl deutsches als auch EU-Recht sieht zwar einen Diskriminierungsschutz gesetzlich zwingend vor, allerdings nicht in allen Bereichen. Kirchliche Arbeitgeber (etwa von Krankenhäusern, Sozial- und Bildungseinrichtungen) sind davon ausgenommen. Hier gelten besondere Bestimmungen, es gibt kaum Tarifverträge, Betriebsräte und geringen Kündigungsschutz. LSBTI* Angestellte sind genauso betroffen wie Wiederverheiratete, die wegen »Ehebruchs« jederzeit auf die Straße gesetzt werden können. Betroffen sind etwa 1,3 Millionen Arbeitnehmende, Tendenz steigend, denn die niedrigen ungeregelten Löhne schaffen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht kirchlichen Trägern. Dabei werden die Träger zu 90 % vom Staat aus Steuermitteln finanziert, der die günstigeren Träger gut und gern in Anspruch und die damit verbundene Diskriminierung bewusst in Kauf nimmt.

Relativ vage allgemeine Bestimmungen in der EU-Grundrechtscharta oder den Verfassungen einzelner Bundesländer, die Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Identität verbieten, lassen sich außerdem kaum durchsetzen, weil konkrete Ausführungsgesetze fehlen. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz etwa gilt nur für Privatunternehmen, nicht aber für den öffentlichen Bereich und die Verwaltung. Der Staat hat sich hier also selbst eine Ausnahme genehmigt, während er den Unternehmen wie auch den Bürgerinnen und Bürgern im Land Akzeptanz gesetzlich aufzwingt. Aus den Bundestagsunterlagen ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber diese Lücke damals bewusst gelassen hatte, um etwa zu verhindern, dass homosexuelle Beamte und Staatsangestellte die selben Zulagen- und Hinterbliebenenansprüche stellen können wie heterosexuelle Staatsbedienstete. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Lücke mittlerweile zwar für grundgesetzwidrig erklärt, doch selbst das Land Berlin, das sich gerne als besonders fortschrittlich und tolerant gibt, versucht bei der Umsetzung des Urteils aus Karlsruhe bewusst zu tricksen: Statt der rückwirkenden Gleichstellung ab 2001 sollen Berliner Landesangestellte nur Ansprüche ab 2009 bekommen – und auch nur, wenn sie diese schon vorher angemeldet hatten. Beim Geld ist eben Schluss mit der Akzeptanz, obwohl es um vergleichsweise geringe Summen geht.


Teil 1    Teil 2

Dieser Artikel ist Teil 1 des Leitthemas des gerade erschienenen CSD Magazins 2014. Das komplette Magzain ist online unter http://issuu.com/csdmagazin/docs/csd_magazin_2014_online abrufbar.

Der Rollback ist also angekommen. Wer ist schuld und was tun?

Megaphon3 

Bewusstsein schaffen und aufklären

Kein Wunder, dass sich LSBTI* unter den beschriebenen Voraussetzungen häufig diskriminiert, abgewertet und unwohl fühlen. Die Bundesantidiskriminierungsstelle und die europäische Grundrechteagentur fordern umfassende Aktionspläne zur Beseitigung gesellschaftlicher Diskriminierung und Aufklärung von Vorurteilen genauso wie Bildungspläne, die vor allem jungen LSBTI*-Menschen helfen sollen, was angesichts der Umstände dringend geboten ist. Es geht dabei um mehr als um Beamtenzuschläge und Steuerbegünstigungen für gutsituierte schwule Männer. Die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber LSBTI* hat zwar Umfragen zufolge im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen, aber sie ist brüchig. Im letzten Jahr konnte eine deutliche Zunahme von Antisemitismus und Nationalismus festgestellt werden, Zahlen zur Homophobie liegen nicht vor.

Wohlfeile Heuchelei der Parteien

Die deutsche Politik agiert dabei besonders verlogen. Die Union behauptet frech, dass LSBTI* in Deutschland gar nicht diskriminiert werden, und lehnt die Gleichstellung sowohl in ihrem Parteiprogramm als auch bei Abstimmungen im Bundestag konsequent ab. Gegenüber den Koalitionspartnern – vormals FDP und nun SPD – wird die Koalitionskarte gezogen, um sie auf Linie zu bringen. Zumindest gibt die Union nicht vor, besonders LSBTI*-freundlich zu sein, und diese »Ehrlichkeit« kommt bei den Wählenden an. Merkels unwohle Bauchgefühle gegenüber LSBTI* und der offene Verfassungsbruch in dieser Frage führten nicht dazu, dass sich die Deutschen von der Union abwandten. Im Gegenteil, sie treffen den Nerv der Nation und gewinnen Wählerstimmen.

Die FDP beteuerte zwar immer wieder Unterstützung von LSBTI*, stimmte aber konsequent dagegen. Dieses Nachgeben aus angeblicher Koalitionsräson wurde vom Wähler bestraft, und die FDP flog aus dem Bundestag.

Die SPD versprach vor der Wahl vollmundig 100 % Gleichstellung und opferte dieses Versprechen ebenfalls zu 100 %, um mit der Union regieren zu können. Kein Wort mehr von Öffnung der Ehe oder voller Adoption. Die Opfer des § 175 StGB sollen zwar rehabilitiert werden – wird zumindest versprochen –, doch je länger die Politik wartet, desto weniger der knapp 55.000 Männer, die zwischen 1945 und 1969 verurteilt wurden, werden das erleben. In der Diskussion ist außerdem eine symbolische Entschädigung in Form einer Stiftung vorgesehen. Damit gehen die verbleibenden Betroffenen leer aus, man erspart sich peinliche Auftritte in den Medien, in denen die Opfer ein reales Gesicht bekommen, und kann das Gutmenschen-Image pflegen.

Die Diskussion um den Bildungsplan in Baden-Württemberg, der angesichts der Situation an den Schulen und der Ergebnisse der jüngsten Studien dringend notwendig wäre, um ein Erstarken der Homophobie zu verhindern und gerade jungen Menschen einen normalen Umgang mit LSBTI*-Menschen zu vermitteln, zeigt, dass sogar die Grünen, die dort zusammen mit der SPD regieren, bereit sind, vehement behauptete Akzeptanz und Menschenrechte einem Shitstorm im Internet und Online-Petitionen zu opfern. Die Einführung wurde um mindestens zwei Jahre, nach den nächsten Landtagswahlen, verschoben. Damit kann dann Wahlkampf gemacht und je nach Koalitionslage nach den Wahlen auf die tatsächliche Umsetzung verzichtet werden.

Es gibt aber auch Lichtblicke in der deutschen Politik, allerdings nicht viele. Auf Landesebene wurden sogar schon die von den Fachleuten angemahnten Aktionspläne beschlossen. In NRW von SPD und Grünen, in Berlin und Brandenburg von der Linken und der SPD. Sogar die CDU ist auf Landesebene manchmal bereit, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus Karlsruhe etwa bei der Gleichstellung der Lebenspartnerschaft in vollem Umfang zu erfüllen – eigentlich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit –, was bei der Bundes-CDU jedoch noch nicht angekommen ist. Und bei dem Thema Sicherheit und Prävention springt sogar die CDU über ihren Schatten. Die HIV-Schnelltestaktion des Vereins Mann-o-Meter in Berlin, der auch das Überfalltelefon MANEO betreibt, wurde von SPD / CDU nach jahrelanger, gestückelter Projektförderung endlich in die Regelförderung übernommen und damit abgesichert.

Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe

In Frankreich hat die sozialdemokratische Regierung trotz heftiger Proteste und riesiger, zum Teil gewalttätiger Demonstrationen ihre Wahlversprechen zur Öffnung der Ehe eingelöst. Dies muss den handelnden Politikerinnen und Politikern, insbesondere Ministerpräsident Hollande und Justizministerin Taubira hoch angerechnet werden. Die Erfahrung aus Baden-Württemberg und die unverhohlene Schelte der Union am Bundesverfassungsgericht lassen dies für Deutschland nicht hoffen.

Alle Teilnahmen der Parteien an deutschen CSDs haben damit zumindest einen schalen Beigeschmack, denn sie erweisen sich spätestens dann als verlogen, wenn die Versprechen auf den CSD-Demos und Straßenfesten durch gegenteiliges Abstimmungsverhalten in den Parlamenten konterkariert werden. Der Fehler liegt dabei sowohl im System als auch bei den handelnden Politikerinnen und Politikern, die sich gerne hinter Fraktionszwang oder juristischen Spitzfindigkeiten verstecken.

Nur wir können das ändern

Wir, die Menschen in diesem Land sind gefragt: Wir müssen genau hinschauen, Politiker und Politikerinnen nach ihren Taten und Abstimmungen und nicht nach ihren Worten beurteilen, um dann genau diejenigen zu unterstützen, die sich tatsächlich für Menschenrechte einsetzen, damit sie auch innerhalb ihrer Parteien mehr Gewicht bekommen. Die Heuchelei und Klientelpolitik der FDP wurde bei der letzten Bundestagswahl abgestraft. Die Offenlegung der Heuchelei aller Parteien müssen wir selbst sicherstellen, auf den CSDs, im privaten Umfeld, am Arbeitsplatz und in der Schule. Teile der Bevölkerung haben vielleicht ein ähnliches Bauchgefühl wie Merkel gegenüber Lesben und Schwulen, aber die Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung insgesamt nicht grundsätzlich homophob ist. Die Umfragen zeigen auch, dass die Politikverdrossenheit ein allgemeines Phänomen ist, weil die Heuchelei und Unglaubwürdigkeit der Politik nicht nur LSBTI* betrifft, sondern auch Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Einkommensschwache und viele andere. Sie sind unsere Verbündeten. Sie können uns unterstützen, und wir müssen sie unterstützen: für soziale Gerechtigkeit und die Gleichheit von allen Menschen. Die Politik wird nur dann eine ehrliche sein, wenn wir auch ehrliche Politikerinnen und Politiker wählen.


 

Teil 1    Teil 2

Dieser Artikel ist Teil 2 des Leitthemas des gerade erschienenen CSD Magazins 2014. Das komplette Magzain ist online unter http://issuu.com/csdmagazin/docs/csd_magazin_2014_online abrufbar.

Ich bin  besorgt über die wieder wachsende Homo-und Transphobie, die Zunahme des Nationalismus in ganz Europa, den Rassismus und Sexismus. Diese Minderheitenfeindlichkeiten werden mittlerweile recht unverschämt in den Medien und der Öffentlichkeit ausgebreitet und dann noch als die „Meinung der schweigenden Mehrheit“, die gesunde Volksmeinung oder als Widerstand gegen (perverse) Meinungsterroristen, Genderwahnsinnge oder ausländische Kräfte verkauft. Die perfekte Opfer-Täter-Umkehr.

Aber selbst ein so flüchtiger Auftritt beim ESC samt der homophoben Kontroverse davor, ist manchmal doch mehr als nur ein Sturm im Boulevardblätterwald. Was Aktivist_innen, CSDs, Klagen, Petitionen, Politiker_innen, Menschenrechtler_innen über viele Jahr hinweg nicht geschafft haben, schafft Conchita durch ihren Sieg beim ESC: Die Konservativen in Österreich scheinen einzuknicken! Wow! Ich hoffe die ÖVP zieht die „Homo-Wende“ wirklich durch, dann wäre der politische Fortschritt wieder einmal nicht vom Establishment in Hinterzimmergesprächen mit schmutzigen Politdeals, sondern von einer singenden Außenseiterin – einer rebellischen, bärtigen Drag Queen mit Auftrag „We are unstoppable“ – erreicht worden.

Die Frage ist, ob das nur ein österreichisches Phänomen ist. Aus österreichischer Sicht ist die Sache völlig klar. Im Land der Titel und Ämter, ist die „Queen of Austria“ durch die Europäer in Kopenhagen zur Kaiserin gekrönt worden. Und kein_e Österreicher_in – nicht einmal der Bundeskanzler – sagt je etwas schlechtes über die Kaiserin. Eher werden Gesetze geändert, damit sie zur Kaiserin passen, als die kaiserliche Hoheit anzugreifen.

Die Salzburger Nachrichten nennen die politische Auswirkung beim Namen und titeln:  „Conchita-Effekt“: ÖVP lenkt bei Homo-Rechten ein. http://www.salzburg.com/nachrichten/oesterreich/politik/sn/artikel/conchita-effekt-oevp-lenkt-bei-homo-rechten-ein-106475/

Nun stellt sich die Frage für Deutschland: Was muss man hierzulande tun, um die CDU/CSU zum Einlenken zu bringen?

Auf jeden Fall heute, am 17.5. auf die Straße und demonstrieren. Wenn das nicht hilft, probieren wir einfach so lange  unterschiedlichen Methoden, bis eine davon klappt… 🙂

 

STONEWALL!!!

Aktiv oder Passiv?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, es mindestens einmal die Woche zu machen. Den Vorsatz nahm ich mir im Juni, doch die Realität nahm mir den Vorsatz. Mehr als einmal im Monat schaffe ich es einfach nicht – wohlwollend betrachtet! So ist halt das Aktivistendasein. Es gibt immer irgendwas oder irgendwen, der einen davon abhält. Aber heute! Heute ist es wieder soweit. Als ich diese Zeilen letztes Wochenende begann, saß ich in der Hotellobby in Prag, wo wir gerade das Vorstandsmeeting des europäischen CSD Verbandes absolviert hatten (Ich hab’s doch gesagt: Aktivistendasein!). Die anderen waren am Vortag noch um die Häuser gezogen und hatten Prag unsicher gemacht. Ich aber bin brav in mein Zimmer – alleine – damit ich während der Sitzung nicht einschlafe; hat auch geklappt. Dann schnell zur Familie nach Wien. Aber jetzt! Jetzt ist die familiäre Bescherung vorbei, keine CSD-Sitzungen und ich habe mal Urlaub! Jetzt ist es so weit! Ich habe es mir wirklich fest vorgenommen und zieh es jetzt einfach durch, denn es ist schon LAAANGE überfällig. Hier ist es! Ein virtuelles Lebenszeichen auf meinem Blog. Und diesmal öffne ich dafür auch das Nähkästchen.

Das mit dem Aktivistendasein ist so ne Sache. Desto aktiver man ist, desto passiver sind die anderen. Und es gibt einfach viel mehr Passive! VIIIEEL mehr Passive! Eine Binsenweisheit der Community. Dabei gibt es doch etwas, bei dem die Passiven viel aktiver sind: Beim Jammern!

Au, Au, Au! Au weh! Nein! Hör sofort auf! Weg! Wie furchtbar! Geht gar nicht!

Das Jammern unterscheidet den gewöhnlichen Passiven, der einfach nichts tut, vom Passivisten, der das auch noch lautstark macht. Manche Passivisten haben das Jammern so sehr verinnerlicht, dass der Topf schon zu Scheppern beginnt, bevor man überhaupt den Deckel drauftut oder das Wasser kocht. Besonders schlimme Fälle scheppern sogar, wenn nur vom Wasser erhitzen gesprochen wird, selbst wenn der Herd kaputt und weder Deckel noch Wasser vorhanden sind. Das Phänomen kennt man von Kleinkindern, die beim Arzt losheulen, bevor sie eine Spritze bekommen. Die Angst vor der Spritze ist etwas ganz natürliches – das nimmt normalerweise mit zunehmendem Alter und Lebenserfahrung ab – wenn die Angst aber so weit geht, dass die bloße Erwähnung des Wortes „Spritze“ zu kindlichen Weinkrämpfen führt, dann sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den kleinen Heulern die natürliche Angst vor dem Piekser zu nehmen und die Angst nicht zur ausgewachsenen Phobie zu kultivieren. Doch zurück zu den Aktiven und Passiven.

Anders als beim Sex, wo idealerweise auf jeden Aktiven ein Passiver kommt, ist der Idealzustand bei der Communityarbeit die vollständige Aktivierung aller Beteiligten. Keine Passiven, schon gar keine Passivisten, alle sind aktiv und machen (zumindest ein bisschen) etwas um die Sache voranzubringen. Arbeitsteilig und in trauter Harmonie. Die einen kümmern sich um die rechtliche Gleichstellung, die anderen machen Infoabende und gesellige Runden im gemischten Sportverein, um den Heten die Angst vor dem Duschen zu nehmen. Im eigenen Betrieb gibt es AnsprechpartnerInnen, wieder andere sind im Beratungsnetzwerk, bei der Aidshilfe. An den Unis wird selbstverständlich in allen Fakultäten ganz offen mit dem Thema umgegangen und unvoreingenommen geforscht – etwa ob die Orientierung von herausragenden Mathematikern oder Physikern Einfluss auf deren wissenschaftliche Arbeiten hatte, damit Forschung in Zukunft effektiver wird. Priester betreiben keinen Exorzismus sondern seelsorgerische Betreuung bei Zweifeln ob der/die Aktuelle auch der/die Richtige fürs Leben ist oder wie man mit bisexuellen Vorstellungen umgehen soll. Oder man/frau organisiert einfach mal im eigenen Haus mit den heterosexuellen Nachbarn ein gemeinsames Hoffest – im Sinne der Völkerverständigung quasi. Man könnte diesen Utopismus auch weiterführen und davon träumen, dass überhaupt neue gleichberechtigte und harmonische Modelle zu Beziehungen, Bindungen, Geschlechtern und Sex, die bisherigen auf Gegensätzlichkeiten aufgebauten Vorstellungen ersetzt haben. Doch zurück zu den Aktiven und Passiven.

Nach jahrelanger CSD-Erfahrung kommen auf einen Aktiven in der Community etwa 100 Passive, gefühlt manchmal sogar 1.000, wenn man dabei den Jammerfaktor oder PWF (engl. passivist whine factor; nicht zu verwechseln mit schädlichen Faktoren für Ungeborene im Mutterleib wie Passivrauchen oder passivem Weinkonsum) berücksichtigt. Der Jammerfaktor ist der Faktor mit dem die Anzahl der beteiligten Passiven aufgrund der besonderen Lautstärke einiger Passivisten multipliziert werden muss, um die gefühlte Anzahl von Passiven bei Annahme der durchschnittlichen gesellschaftlichen Jammerkonstante (engl. social whine constant; manchmal auch gesellschaftliches Grundgrummeln (GGG) genannt) abzubilden.

GGG = øL = 1/n * ∑ (Lp).

Wissenschaftlich haben sich bisher leider noch keine exakten Modelle durchgesetzt, da die Jammerfaktoren (wie bei allen Pegelmessungen) ortsabhängig sind und sich bei Kombinationsveranstaltungen wie dem CSD die Pegel von Jubel- und Jammerfaktoren nur schwer trennen lassen. Außerdem beschäftigt sich die Queer Theory im Moment eher mit den Nebenwidersprüchen identitärer Politik, Pinkwashing und erkenntnistheoretischen Problemen.

Interessanterweise gleichen sich unter Berücksichtigung des Jammerfaktors erfahrungsgemäß die Unterschiede zwischen Schwulen und Lesben fast völlig aus. Bei Lesben kommen zwar auf jede Aktive ungefähr 300 Passive. Aber anders als bei den Schwulen mit traditionell hohen bis sehr hohen Jammerfaktoren, wird Kritik von Passivlesben ruhiger manchmal sogar geradezu verhalten zum Ausdruck gebracht. Vielleicht kann die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld dieses Phänomen erforschen, um zu beantworten, ob dies an soziologischen Faktoren liegt, ein kulturübergreifendes Phänomen ist oder nur der Tatsache zu verdanken ist, dass der Lidl im besonders passivistenstarken Berlin-Schöneberg neuerdings dauerhaft Billigmegafone führt. Doch zurück zu den Aktiven und Passiven.

Es gehört zur frustrierenden Lebenserkenntnis jedes engagierten Menschen, dass bei allen Zusammenhängen außer beim Sex, Aktive und Passive sich umgekehrt proportional zueinander verhalten. Anders ausgedrückt: Desto mehr man tut, desto mehr lehnen sich die anderen zurück. Das ist (leider) ganz normal und sollte daher von jedem Aktivisten berücksichtigt werden. Für alle Korinthenkacker: Ich verwende hier „normal“ im Sinne von „sehr häufig; statistisch am wahrscheinlichsten; erwartbar“ und nicht im positivistisch normativen Sinn von „so sollte es sein“. Beim Aufstieg zum perfekten Passiven werden dabei üblicherweise mehrere Ebenen durchlaufen. Die passivistische Ausbaustufen (Stufen 2 bis 5) beinhalten nämlich eine Reihe von Strategien, Kritik zu begegnen und die liebgewonnene Passivität zu verteidigen. Diese Strategien können in vier Kategorien unterteilt werden: Ausreden (bereits Teil der Grundstufe 1), Rechtfertigungen (Stufe 2), Ablenkungen (Stufe 3) und Gegenangriffe (Stufe 4).

Ausreden und Rechtfertigungen sind kurzfristige Standardstrategien und bauen auf Verständnis oder Mitleid: Computercrash, Familientragödie, Jobhölle, Wintermüdigkeit, Frühlingsallergie, Sommerschwüle, Herbstdepression. Mit diesen hinlänglich bekannten Methoden von Stufe 1 und Stufe 2 Passiven möchte ich mich nicht näher beschäftigen. Ablenkungen verlangen mehr Kunstgeschick und sind untrügliches Zeichen von passivistischer Begabung der Stufe 3. Die Kritik wird einfach ignoriert und man äußert sich zu einem völlig anderen Thema. Denn es ist doch vollkommen klar, dass zuerst die Rahmenbedingungen passen müssen, bevor man sich mit Details beschäftigt. Ein (fiktives) CSD bezogenes Beispiel:

Der CSD vertritt die gesamte Community und muss die gesamte Community einbeziehen.

Der perfekte Einstieg in eine Strukturdebatte und das Totschlagargument, warum das Budget (alternativ: das Bühnenprogramm, die Pressemitteilung oder die Anmeldeunterlagen) bis zur aktuellen Sitzung gar nicht erledigt werden konnten. Der professionelle Passivist der Stufe 4 geht sogar zum Gegenangriff über und führt die vorangehende Argumentation konsequent zu Ende:

Wie konnte man denn überhaupt erwarten, dass bis zur aktuellen Sitzung das Budget (Bühnenprogramm, Pressemitteilung, Anmeldeunterlagen) fertig seien, wenn doch die Community gar keine Gelegenheit hatte, ihre Wünsche zu äußern.

Da zermartert sich eine arme Person den Kopf, wie man allen Ansprüchen gerecht wird, sitzt stunden-, nein, nächtelang vor dem Computer, aber bei dem Mangel an Professionalität bei den anderen, bei den schlechten Voraussetzungen, bei der destruktiven Nörgelei und der vergifteten Atmosphäre, die hier herrscht, bei der völlig unzureichenden Unterstützung, kann kein vernünftiges Ergebnis entstehen.

Die Königsklasse oder Stufe 5 ist der Gegenangriff mit Passivitätsumkehr und funktionaler Absicherung:

Man stelle sich nur einmal vor, die Arbeit wäre tatsächlich erledigt worden, man hätte sie umgesetzt und dann wäre die Community über einen hergefallen. Nein, dank der Umsicht und der Erfahrung konnte hier Schlimmes vermieden werden.

Nicht auszudenken, was für einen Schaden der Verein, die Community, die Welt genommen hätte! Und weil dem so ist, wurde hier eine lebenswichtige Aufgabe erfüllt, die Welt wieder einmal von einem Passivisten gerettet, der sich wohl auch in Zukunft auf die Kontrolle und die kritische Begleitung der Aktivisten mit ach-so überzogenem Eifer beschränken muss. Bitte schon mal das Bundesverdienstkreuz für unsere Kassandra bereitlegen!

Das passiert leider öfter als man denkt, doch eine alte Aktivistin wie mich haut so was nicht aus den Schuhen. Und gerade der CSD ist das Paradebeispiel dafür. Alle wollen mitreden, mitbestimmen, beobachten und begleiten, aber wenn es an die Aufgabenverteilung geht, wird es bei den meisten offenen CSD Treffen sehr übersichtlich. Ein Beispiel? Wenn es um die Abstimmung des CSD Mottos geht, ist es voll; da sind schon mal 50-60 Personen da, in der offenen Arbeitsgruppe „Forderungen“, die in mehreren Sitzungen mühsam die Formulierungen zusammenklöppelt, waren noch nie mehr als 6 Personen. In meinen knapp 20 Jahren Community-Tätigkeit in unterschiedlichen organisierten und freien Gruppen gab es den meisten Streit immer um das Mitbestimmungsrecht, danach folgt quantitativ der Streit um das Mitspracherecht, während ich mich selbst nach intensiver Überlegung erst an einen einzigen Streit um Mitarbeitsrecht erinnern kann.

Hinzu kommt, dass der CSD die perfekte Projektionsfläche bietet. Denn wenn mit dem CSD tatsächlich die ganze Community vertreten werden soll, dann muss sich natürlich gerade die jeweils eigene Meinung wiederfinden; vorzugsweise ganz oben auf der Liste und natürlich vorrangig. Da gab es doch tatsächlich vor vier oder fünf Jahren einmal ein CSD Forum, auf dem eine Gruppe argumentierte, der CSD dürfe nicht die Öffnung der Ehe fordern, denn diese eine Gruppe wolle gar nicht die Eheöffnung, sondern nur die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft. (Um falsche Zuschreibungen zu verhindern: Es war nicht die LSU!) Und weil doch der CSD alle vertrete, könne dies nicht gefordert werden, sondern nur das, was auch wirklich alle in der Community mittragen. Das ist das Hochamt der Korinthenkackerei. Apropos: Die Korinthe ist die kleinste Rosinenart und weil ich Rosinen mag, möchte ich mich bei den Korinthen für diese Fäkalbedeutung entschuldigen. Aber bei so viel konsensualem, kleinstem verschrumpelten Nenner spielten dann selbst die harmoniesüchtigsten, gemäßigtsten Gruppen nicht mehr mit und die Eheöffnung wurde als CSD Forderung beschlossen; mit überwältigender Mehrheit. Sie ist übrigens bis heute eine Forderung. Diese Trauben hängen offensichtlich hoch! Doch zurück zu den Aktiven und Passiven.

Alle, die schon einmal beim CSD mitorganisiert haben – sei es beim Orga-Team eines CSDs selbst (egal ob in Berlin oder in Freiburg) oder einfach nur innerhalb einer teilnehmenden Gruppe kennen dieses Spiel: Jemand (=AktivistIn) hat eine Idee und will sie umsetzen. Dann kommen die engsten passivistischen Freunde, Vereinsmitglieder, KollegInnen und klären die Aktivisten auf: Die Idee ist zu teuer, zu viel Arbeit, überhaupt nicht realisierbar (ich rede hier von einfachen Ideen zur Wagendeko oder gemeinsamen T-Shirts und noch nicht einmal von so ausgefallenen Ideen, die ich als CSD Organisator schon erlebt habe wie Kleinflugzeuge, Elefanten oder Flugzeugträger; der Flugzeugträger wurde übrigens einmal verworfen und einmal umgesetzt – und zwar ein echter Flugzeugträger; echt cool!). In der nächsten Phase kommen weitere passivistische Mitglieder, KollegInnen oder Externe (etwa von Konkurrenz-, äh, wohlmeinenden Mitvereinen, alte FeindInnen und sonstige MitstreiterInnen), die sich gar nicht mit so profanen Dingen wie Ressourcenproblemen (Geld, Arbeitskraft, Produktionsstoffe) abgeben, sondern sich lediglich mit der Ausgewogenheit (Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt! Rot steht nicht jedem, ist außerdem politisch besetzt, deshalb fällt das schon mal aus!), den Unzulänglichkeiten (Regengobenfahnen unter 3 m Breite und 20 m Länge sind piefig!) und den Inhalten (Wer will schon die Ehe! Hochzeitskleider für Männer? Hochzeitskleider für Lesben??) der Idee auseinandersetzen. Sollte die Idee diese Phasen überstanden, die Frustrationen der Aktiven nicht schon unüberwindliche Maße erreicht haben, die Finanzierung gesichert sein und dann auch am CSD tatsächlich das Licht der Welt erblicken, dann mein Tipp an alle Aktiv(ist)en: Genießt die Massen! Genießt den Moment! Genießt den Moment, wenn euch die Leute am Straßenrand zujubeln! Genießt den Moment, wenn euch Menschen fotografieren wollen und fotografiert den Moment! Genießt den Moment, wenn ihr es in die Tagesschau schafft! Genießt das unglaublich erhebende, wärmende, motivierende Gefühl! Die Straße gehört euch! Ihr seid die MacherInnen des CSD! Nicht irgendwer vom Orga-Team, nicht die Homo-Medien, nicht die RumsteherInnen, nicht die NörglerInnen! Die Aktiven machen den CSD! Ihr macht den CSD! (Das Orga-Team darf dann nur den Dreck nachher wegräumen!)

Und lasst euch nicht von den passivistischen Post-CSD-BesserwisserInnen unterkriegen! Natürlich geht was schief (Es geht immer was schief!). Natürlich muss man im Nachgang alles kritisch beurteilen (die Nachbereitungssitzungen zum CSD Berlin sind mittlerweile zwei 4-6-stündige Selbstzerfleischungen am Dienstag und Mittwoch nach dem CSD). Natürlich muss man vorher überlegen, was realisierbar ist und was einfach nicht geht (Flugzeugträger können selbst bei ausreichend tiefer Fahrwasserrinne keine Flusshäfen ansteuern, weil sie unter den Brücken nicht durchkommen!). Aber wenn die Umsetzung einer brillanten, weltverändernden Idee einzig und allein durch ein „Rasen betreten verboten!“ Schild auf einer mittelmäßigen, gepflegt wuchernden kommunalen Wiese verhindert wird, dann ist das nur so lange ein Problem, so lange niemand das Wort „verboten“ durchstreicht. (Tipp: Das neue Schild bitte dann für alle Fälle auch fotografieren und den Rasen nicht gleich umpflügen, sondern einfach überqueren!)

In kommenden Folgen aus dem Nähkästchen geht es um: Community-Propheten, Fegefeuer der Medieneitelkeiten, Was Macht mit machen zu tun hat, Die Phasenverschiebung der Wahrnehmung in der Community-Ursuppe u.v.m.

P.S. Auch wenn die Ehe in diesem Posting mehrfach als Beispiel herhalten musste und ich die Eheöffnung natürlich mit Vehemenz fordere, bin ich ausgesprochener Ehekritiker und glaube nicht an deren „natürliche Vorrangstellung“; im Gegenteil.

Ich möchte mich nicht mit den Inhalten des Gesetzes beschäftigen, dass gestern in Uganda verabschiedet wurde. Details dazu sind z.B. hier auf queer.de nachzulesen.

Wir sind seit November im direkten Austausch mit einer Gruppe in Uganda. Es handelt sich um HIV-Positive Transgender, von denen wir Regenbogenartikel, Freundschaftsbändchen und ähnliche Produkte als CSD kaufen und hier in Deutschland vertreiben wollen, um Ihnen ein gesichertes Einkommen zu verschaffen.

Heute erreichte mich per Facebook die persönliche Nachricht eines Mitglieds der Gruppe, das ich hier im Original einfach teilen möchte:

please bt we need ur help most esp now da da gay bill has passed

it passed yesterday n we hv bn indoor da whole of today

like of now robert we are plan less we hv no idea of wats next n da international community is going to help only big activists here we at da grass root we are mostly in danger most especially us the transwomen …

Aus Sicherheitsgründen lasse ich den Namen der Person und der Gruppe sowei weitere Details über Orte zum jetzigen Zeitpunkt weg.

Sobald wir die Situation und die unmittelbaren Bedürfnisse geklärt haben, poste ich neue Nachrichten. Unterstützungsangebote oder Hilfestellung nehmen wir gerne entgegen. Bitte vorerst per Mail direkt an meine offizielle CSD Adresse: robert@csd-berlin.de

Auch wenn die Todesstrafe in der verabschiedeten Gesetzesversion nicht mehr vorkommt, ist auf manche homosexuelle Handlungen lebenslange Haft vorgesehen. Es wird erwartet, dass der Präsident von Uganda das Gesetz in den nächsten Tagen unterschreibt und es dann in Kraft tritt. Ich bin persönlich zutiefst erschüttert, dass mit Verweis auf die Moral und christliche Werte kurz vor Weihnachten so ein abscheulicher Akt gesetzt wurde und die Abgeordneten, die es eingebracht haben, sich mit jetzt Inbrunst auf die Brust klopfen und das als „Sieg gegen das Böse“ feiern. Pfui, Pfui, Pfui.

BILDWahlzentrale

Zur Zeit brandet in der Diskussion rund um den LSVD auch die Frage nach der Förderabhängigkeit auf. Bevor ich mich allerdings inhaltlich auf die aktuelle Diskussion einlasse, möchte ich aus aktullem Anlass hier einen Artikel aus dem CSD Magazin 2013 posten, bei dem es gerade um Einflußnahme und Geldflüsse geht. 

Unternehmen würden Einfluss auf die Ausrichtung des CSD nehmen, heißt es. Der böse Kommerz, der beim CSD Politik macht. Die Wirklichkeit sieht vollkommen anders aus. Ein Erfahrungsbericht aus insgesamt 17 Jahren CSD Arbeit.

Firmenlogos, Werbebanner, Anzeigen und Unternehmensstände auf CSDs. Schnell und oft kommt dafür Kritik aus der Community. Diese bösen Firmen nehmen sicher auch Einfluss auf die Inhalte des CSD. Die „reine“ Politik werde dadurch nur verwässert. Selten wird dabei bedacht, dass Unternehmen unser aller Leben genauso prägen wie Parteien, Vereine, Medien, zivilgesellschaftliche Gruppen oder andere Organisationen. Unternehmen sind unsere Arbeitgeber, Produzenten, Händler und Dienstleister.

In all den Jahren meiner CSD Erfahrung hatte ich schon unzählige Auseinandersetzungen mit Unternehmen, die sich am CSD beteiligten. Bei Sponsoren ging es dabei ausschließlich um rein werbliche Belange, also die Größe des Logos auf einem Plakat, die Position von Ständen oder etwa um die Kleidung und das Aussehen von Promotern. Es ging dabei immer um die Sichtbarkeit des Unternehmens, hinzu kamen Anfragen wegen VIP-Tickets, Wagenplätzen und Fotos mit Promis. Alles keine dramatischen Ansprüche. Manchmal wurden diese Wünsche erfüllt, manchmal nicht. Manchmal mussten die Sponsoren dafür zusätzlich in die Tasche greifen, manchmal erfüllten wir Wünsche im Sinne der Sponsorenpflege.

Genau dieselben Wünsche kommen auch aus der Community. Es werden Ansprüche erhoben wegen der Positionierung von Ständen, der Wagenreihenfolge, Logos und Werbebannern für die Vereine. Bei Anfragen für VIP-Tickets sind Communityvereine viel unverschämter als Sponsoren das je wären. Und bei vielen Vereinen herrscht die irrige Überzeugung, dass ihnen all dies vollkommen kostenlos zustünde, sie seien ja Teil der Community. Aus dieser Ecke kommen auch verstärkt Versuche der politischen Einflussnahme: Der CSD müsse dies fordern oder jenes fordern, weil gerade ein schwullesbischestransinter Projekt seine Forderungen als die allerwichtigsten ansieht. Dafür haben die meisten CSDs Gremien geschaffen, um einen Interessensausgleich zu schaffen, wo Forderungen und Inhalte der CSDs beschlossen werden.

Der größte Druck auf die CSDs kommt aber ganz klar aus der Politik. Da wird schon mal verlangt, den CSD Termin zu verschieben, die CSD Route oder den Abschlussort; selbst im großen Berlin. Per Pressemitteilung teilte ein Stadtrat mit, dass der CSD nicht genehmigungsfähig sei. Mit dubiosen und dreisten Behauptungen wurde versucht die CSD Route von der russischen Botschaft fernzuhalten. Manchmal sind solche Einflussnahmen bewusst und beabsichtigt, manchmal resultieren sie aus Inkompetenz und Zuständigkeitsgerangel verschiedener Behörden. 2011 hatte die Berliner Verwaltung das Brandenburger Tor doppelt „vergeben“. Am Tag des CSD sollte dort die Eröffnung der Frauenfußball-WM stattfinden. Das Land Berlin hatte der FIFA versprochen, dort eine große Feier auszurichten, der CSD solle doch an die Siegessäule gehen. Wir weigerten uns und verhandelten mit der FIFA, wovon die Berliner Politik ausdrücklich abriet. Es konnte sogar eine Einigung erzielt werden: Die FIFA wollte eine Anti-Homophobie Kampagne starten, offizielle Statements abgeben. Dafür wäre der CSD an die Siegessäule gegangen und wir hätten nebeneinander und übergreifend gefeiert. Dazu kam es nicht, weil die Stadt die Eröffnungsfeier nicht organisiert bekam, der Deal scheiterte. Es gab auch schon Schreiduelle mit Bundestagsabgeordneten wegen der Anzahl und der Weitergabe von VIP-Tickets. So dreist waren nicht einmal Communityvereine.

Beim CSD London, der von der Stadt gefördert wird, hat die Kanzlei des Bürgermeisters im Londoner Rathaus sogar Einfluss auf die RednerInnenliste auf der Hauptbühne genommen.  So sollte eine Rede des renommierten und regierungskritischen Aktivisten Peter Tatchell verhindert werden. Als dies öffentlich wurde, ruderte das Rathaus zurück.

Jeder CSD Veranstalter kann ein Lied davon singen und ganz persönliche Anekdoten erzählen. Der „Kommerz“ kommt darin allerdings kaum vor.

von Robert Kastl erstmals erschienen im CSD (Bundes)magazin 2013 im Mai 2013

Illustration: Grafik zur Wahlzentrale der BILD

Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.

Albert Einstein

Seit der ARD-Wahlarena ist klar: Die Kanzlerin hat doch ein Problem mit Schwulen und Lesben. Sie hat ein schlechtes Gefühl dabei, wenn lesbische und schwule Paare Kinder adoptieren. Das beachtliche an dieser äußerst seltenen Gefühlsäußerung des mächtigsten Menschen Deutschlands ist nicht das zum Ausdruck gebrachte Bauchgefühl. Dieses Bauchgefühl teilt sie wahrscheinlich mit vielen – wenn auch nicht der Mehrheit der – Deutschen.

Das beachtliche an Merkels unwohler, gleichgeschlechtlicher Gefühlsäußerung, war der Nachsatz, den sie gleich nach der Wahl nochmals über die Presse bestätigen ließ: Mit der Kanzlerin (und ihre Partei) wird es kein Gesetz zur Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geben. Mit diesem Satz wird die Gefühlswelt der Kanzlerin zum Staatsakt – nein, zur Staatskrise. Denn dieser recht harmlos und konsequent anmutende Satz ist der eigentliche Sprengstoff in der Unionspolitik. Er ist nichts anderes als ein Verfassungsbruch und der bedenkliche Höhepunkt des neuen Rechtsverständnis der Union, das nur mehr auf machtpolitischer Mehrheit und nicht mehr auf rechtsstaatlicher Demokratie basiert. Die Tragweite der Vorgänge wird umso deutlicher, wenn man sie von dem konkreten Thema „Homo-Ehe“ löst und nur rechtspolitisch betrachtet.

Kurz zusammengefasst: Das Bundesverfassungsgericht hat nach Anhörung von zig Verfahrensbeteiligten, von Anwälten, von Vertreter_Innen der Regierung, von Gutachter_Innen, nach intensiven Abwägung der rechtlichen Grundlagen, Interessen und Interpretationen eine grundgesetzliche Entscheidung getroffen. Die Konsequenz dieser Entscheidung war, dass einzelne gesetzliche Bestimmungen als grundgesetzwidrig aufgehoben wurden. In solchen Fällen sieht unsere Verfassung vor, dass nicht Karlsruhe selbst eine Alternative in Kraft setzt, sondern dass der Bundestag die betroffene Regelung durch eine grundgesetzkonforme Regelung ersetzt. Staatsrechtler sind sich auch einig darin, dass die Verpflichtung des Bundestages nicht bei dem betroffenen Gesetz endet, sondern dass auch andere Gesetze mit ähnlichen Regelungen „repariert“ werden müssen. So viel zur drögen Theorie.

In der Praxis gehen solche Vorgänge selten geräuschlos über die Bühne, denn die Entscheidungen aus Karlsruhe berühren oft emotionale Bereiche und werden ebenso heftig wie emotional in der Öffentlichkeit und den Medien diskutiert. Niemand beneidet das Bundesverfassungsgericht, das entscheiden musste, ob es mit der Menschenwürde vereinbar ist, einen vollbesetzten, gekaperten Terrorflieger abzuschießen. Auch die Gesetze zur Euro-Rettung, an denen der deutsche Staat zumindest theoretisch Pleite gehen könnte, landeten in Karlsruhe. Die Gleichstellung von eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe ist dabei vergleichsweise einfach und unemotional, da tatsächlich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung – gerade mal 5-10 Prozent – betroffen und die finanziellen Auswirkungen vernachlässigbar sind. Und Karlsruhe sagt: Natürlich sind Homo- und Heterosexuelle vor dem Gesetz gleich. Der Großteil der Deutschen hat das auch verstanden und sieht die Sache genauso. Laut TNS Emnid (im Oktober 2013) wollen 70% der Deutschen die Gleichstellung, sogar 65% der Unionsanhänger wollen sie. Nur die Union, die Union will sie nicht. Und die Union ist sogar bereit mit der Demokratie zu zündeln. Denn Karlsruhe hat schon längst entschieden: bei Steuern, der Hinterbliebenversorgung, beim Beamtenrecht und auch bei der (Sukzessiv)adoption. Rechtlich gesehen ist die Gleichstellung eigentlich gelaufen.

Das wäre sie zumindest, wenn unsere Regierung aus den verantwortungsbewussten Würdenträger_Innen bestünde, aus „ministrablen“ Persönlichkeiten, die unsere Gründungsväter und –mütter im Sinn hatten, als sie das Grundgesetz beschlossen. Der Fall einer renitenten Rasselbande, die drei Mal auf den Boden stampft, wenn Karlsruhe spricht und einfach nicht das tut, was ihre verfassungsgemäße Aufgabe ist, war damals undenkbar. Doch heute ist es Alltag. Die Union denkt nicht daran, das deutsche Rechtsgut anzupassen. Sie lässt sich – nach eigener Aussage – lieber immer wieder vor Gericht zerren, als der Realität ins Auge zu sehen. Schäuble stellt zwar beim Ehegattensplitting gleich, aber lässt Schwule und Lesben bei der steuerlichen Definition von „Angehörigen“ aus. Das hat rechtliche (und finanzielle) Konsequenzen für die Betroffenen, weil diese Regelungen solange gelten, bis sie von den Gerichten kassiert werden, wie jüngst vom Bundesfinanzhof in München zum Kindergeld. Dieses Vorgehen nervt nicht nur die Gerichte, die Öffentlichkeit, die Medien, die lesbischwulentransinter Aktivist_Innen und Verbände, es beschädigt im höchsten Maße das Ansehen der Bundesregierung, des Bundesverfassungsgerichts, des Bundestages und der deutschen Demokratie. Die Union degradiert Karslruhe zu einem Gesetzes-TÜV, der über jeden Erlass, jedes Gesetz einzeln zu entscheiden hat. Frei zitiert nach Adenauer: „Was kümmert mich das Geschwätz aus Karlsruhe.“ Sie degradiert den Bundestag zum Erfüllungsgehilfen der Regierung, wenn sie sagt: „Die Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren wird am Veto der Union scheitern.“ Da ein solches Unionsveto im Grundgesetz allerdings nicht vorgesehen ist, hilft man sich mit Geschäftsordnungstricks: Man verhindert Sitzungen des Bundestages, ändert Tagesordnungen, verweist an Ausschüsse und zieht die Koalitionskarte und beweist damit, dass das freie Mandat der Abgeordneten eine Farce ist.

Die CDU zählt etwa 470.000 Mitglieder, knapp 1000 davon haben am letzten Bundesparteitag den demokratischen Aufstand gegen das Bundesverfassungsgericht beschlossen und der etwa 60-köpfige CDU Bundesvorstand und das 20-köpfige CDU Präsidium haben den Beschluss mehrfach bestätigt. Hier wird bestimmt, was in Deutschland beschlossen wird, was für mehr als 80 Millionen Einwohner gilt. Ganz demokratisch. Genauso demokratisch, wie dies in anderen Ländern der Fall ist: etwa in Ungarn oder in Russland. Und damit ist die CDU auf bestem Weg den Aufstieg zu schaffen: von einer demokratischen Partei zu einer lupenreinen demokratischen Partei.

Bild: CDU Wahlkampfplakat 1953. (wiki commons)