Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.
Archive für Oktober 2013
Seit der ARD-Wahlarena ist klar: Die Kanzlerin hat doch ein Problem mit Schwulen und Lesben. Sie hat ein schlechtes Gefühl dabei, wenn lesbische und schwule Paare Kinder adoptieren. Das beachtliche an dieser äußerst seltenen Gefühlsäußerung des mächtigsten Menschen Deutschlands ist nicht das zum Ausdruck gebrachte Bauchgefühl. Dieses Bauchgefühl teilt sie wahrscheinlich mit vielen – wenn auch nicht der Mehrheit der – Deutschen.
Das beachtliche an Merkels unwohler, gleichgeschlechtlicher Gefühlsäußerung, war der Nachsatz, den sie gleich nach der Wahl nochmals über die Presse bestätigen ließ: Mit der Kanzlerin (und ihre Partei) wird es kein Gesetz zur Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geben. Mit diesem Satz wird die Gefühlswelt der Kanzlerin zum Staatsakt – nein, zur Staatskrise. Denn dieser recht harmlos und konsequent anmutende Satz ist der eigentliche Sprengstoff in der Unionspolitik. Er ist nichts anderes als ein Verfassungsbruch und der bedenkliche Höhepunkt des neuen Rechtsverständnis der Union, das nur mehr auf machtpolitischer Mehrheit und nicht mehr auf rechtsstaatlicher Demokratie basiert. Die Tragweite der Vorgänge wird umso deutlicher, wenn man sie von dem konkreten Thema „Homo-Ehe“ löst und nur rechtspolitisch betrachtet.
Kurz zusammengefasst: Das Bundesverfassungsgericht hat nach Anhörung von zig Verfahrensbeteiligten, von Anwälten, von Vertreter_Innen der Regierung, von Gutachter_Innen, nach intensiven Abwägung der rechtlichen Grundlagen, Interessen und Interpretationen eine grundgesetzliche Entscheidung getroffen. Die Konsequenz dieser Entscheidung war, dass einzelne gesetzliche Bestimmungen als grundgesetzwidrig aufgehoben wurden. In solchen Fällen sieht unsere Verfassung vor, dass nicht Karlsruhe selbst eine Alternative in Kraft setzt, sondern dass der Bundestag die betroffene Regelung durch eine grundgesetzkonforme Regelung ersetzt. Staatsrechtler sind sich auch einig darin, dass die Verpflichtung des Bundestages nicht bei dem betroffenen Gesetz endet, sondern dass auch andere Gesetze mit ähnlichen Regelungen „repariert“ werden müssen. So viel zur drögen Theorie.
In der Praxis gehen solche Vorgänge selten geräuschlos über die Bühne, denn die Entscheidungen aus Karlsruhe berühren oft emotionale Bereiche und werden ebenso heftig wie emotional in der Öffentlichkeit und den Medien diskutiert. Niemand beneidet das Bundesverfassungsgericht, das entscheiden musste, ob es mit der Menschenwürde vereinbar ist, einen vollbesetzten, gekaperten Terrorflieger abzuschießen. Auch die Gesetze zur Euro-Rettung, an denen der deutsche Staat zumindest theoretisch Pleite gehen könnte, landeten in Karlsruhe. Die Gleichstellung von eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe ist dabei vergleichsweise einfach und unemotional, da tatsächlich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung – gerade mal 5-10 Prozent – betroffen und die finanziellen Auswirkungen vernachlässigbar sind. Und Karlsruhe sagt: Natürlich sind Homo- und Heterosexuelle vor dem Gesetz gleich. Der Großteil der Deutschen hat das auch verstanden und sieht die Sache genauso. Laut TNS Emnid (im Oktober 2013) wollen 70% der Deutschen die Gleichstellung, sogar 65% der Unionsanhänger wollen sie. Nur die Union, die Union will sie nicht. Und die Union ist sogar bereit mit der Demokratie zu zündeln. Denn Karlsruhe hat schon längst entschieden: bei Steuern, der Hinterbliebenversorgung, beim Beamtenrecht und auch bei der (Sukzessiv)adoption. Rechtlich gesehen ist die Gleichstellung eigentlich gelaufen.
Das wäre sie zumindest, wenn unsere Regierung aus den verantwortungsbewussten Würdenträger_Innen bestünde, aus „ministrablen“ Persönlichkeiten, die unsere Gründungsväter und –mütter im Sinn hatten, als sie das Grundgesetz beschlossen. Der Fall einer renitenten Rasselbande, die drei Mal auf den Boden stampft, wenn Karlsruhe spricht und einfach nicht das tut, was ihre verfassungsgemäße Aufgabe ist, war damals undenkbar. Doch heute ist es Alltag. Die Union denkt nicht daran, das deutsche Rechtsgut anzupassen. Sie lässt sich – nach eigener Aussage – lieber immer wieder vor Gericht zerren, als der Realität ins Auge zu sehen. Schäuble stellt zwar beim Ehegattensplitting gleich, aber lässt Schwule und Lesben bei der steuerlichen Definition von „Angehörigen“ aus. Das hat rechtliche (und finanzielle) Konsequenzen für die Betroffenen, weil diese Regelungen solange gelten, bis sie von den Gerichten kassiert werden, wie jüngst vom Bundesfinanzhof in München zum Kindergeld. Dieses Vorgehen nervt nicht nur die Gerichte, die Öffentlichkeit, die Medien, die lesbischwulentransinter Aktivist_Innen und Verbände, es beschädigt im höchsten Maße das Ansehen der Bundesregierung, des Bundesverfassungsgerichts, des Bundestages und der deutschen Demokratie. Die Union degradiert Karslruhe zu einem Gesetzes-TÜV, der über jeden Erlass, jedes Gesetz einzeln zu entscheiden hat. Frei zitiert nach Adenauer: „Was kümmert mich das Geschwätz aus Karlsruhe.“ Sie degradiert den Bundestag zum Erfüllungsgehilfen der Regierung, wenn sie sagt: „Die Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren wird am Veto der Union scheitern.“ Da ein solches Unionsveto im Grundgesetz allerdings nicht vorgesehen ist, hilft man sich mit Geschäftsordnungstricks: Man verhindert Sitzungen des Bundestages, ändert Tagesordnungen, verweist an Ausschüsse und zieht die Koalitionskarte und beweist damit, dass das freie Mandat der Abgeordneten eine Farce ist.
Die CDU zählt etwa 470.000 Mitglieder, knapp 1000 davon haben am letzten Bundesparteitag den demokratischen Aufstand gegen das Bundesverfassungsgericht beschlossen und der etwa 60-köpfige CDU Bundesvorstand und das 20-köpfige CDU Präsidium haben den Beschluss mehrfach bestätigt. Hier wird bestimmt, was in Deutschland beschlossen wird, was für mehr als 80 Millionen Einwohner gilt. Ganz demokratisch. Genauso demokratisch, wie dies in anderen Ländern der Fall ist: etwa in Ungarn oder in Russland. Und damit ist die CDU auf bestem Weg den Aufstieg zu schaffen: von einer demokratischen Partei zu einer lupenreinen demokratischen Partei.
Bild: CDU Wahlkampfplakat 1953. (wiki commons)