Zeitweilige Übergangsregelung für die ständige Teilnahme am CSD! (Teil 7: CSD Eigentum und Stimmberechtigung)

22/11/2014 — Hinterlasse einen Kommentar

 Blog_CSDRegelungen_Eigentum1Abschnitt 7

§ 8. Eigentum und Stimmberechtigung

Die Crux bei der Sache liegt in der Unvereinbarkeit der konträren Vorstellungen eines Ideal-CSDs verbunden mit dem gleichzeitigen Besitz- und Monopolanspruch der Community am CSD bei einem individuellen Vetorecht jeder teilnehmenden Gruppe oder Person gegen die demokratischen Entscheidungsprozesse. Etwas einfacher formuliert: Viele Menschen aus der Community sind der festen Überzeugung, dass der CSD der Community „gehört“. Aus diesem (meist von Männern formulierten) Besitzanspruch wird das alleinige Entscheidungsrecht (meine Villa, meine Frau, mein CSD) abgeleitet. Offen bleibt dabei, wie diese Entscheidung der Miteigentümerschaftsgemeinschaft zustande kommen soll und wer die Verantwortung für die Entscheidungen übernimmt. Wer sind diese „Miteigentümer“ eigentlich – alle queeren Menschen in Berlin, Deutschland, der Welt oder alle Berliner_innen oder jede_r Mensch der Welt?

Der CSD e.V. hat bisher den Besitzanspruch am CSD verneint, der CSD gehört überhaupt niemandem, auch nicht dem CSD e.V., sondern ist Allgemeingut. Der Verein beschließt einheitliche Teilnahmeregeln für alle – diese gelten für Einzelpersonen, Gruppen, Vereine, Parteien, selbst für die katholische Kirche. Sie ermöglichen eine Teilnahme von katholischen Priestern, die damit gegen die Politik der Amtskirche demonstrieren, genauso wie die Teilnahme der LSU, die sich innerhalb der Union für eine Änderung der homophoben Parteipolitik einsetzt. Sie ermöglichen auch die Teilnahme von Mainstream-Organisationen, wenn sie sich für LGBTIQ Gleichberechtigung engagieren, egal ob das eine Berliner Tageszeitung, ein Handelsunternehmen, Amnesty International, eine Gewerkschaft oder eine Frauenorganisation ist. Aufgrund des verlangten Engagements und der Werbebeschränkungen fördern diese Bedingungen auch die Zusammenarbeit zwischen Organisationen, etwa Mainstream-Unternehmen und LGBTIQ-Organisationen. Erstere können für letztere als Sponsoren auftreten. Dadurch werden die Werbeinteressen eines Unternehmens und der Finanzierungsdruck für lesbischwulentransinter Gruppen gleichzeitig befriedigt, wenn nämlich der Sponsor XY für die queere Gruppe AB Geld für einen Wagen locker macht. Dafür erhält der Sponsor XY Werbung und die Gruppe AB die Finanzierung ihres Fahrzeugs. Reine Werbe- oder Sponsorenfahrzeuge sind nicht erlaubt. Bisher gab es noch nie Streit mit Unternehmen, die nicht zugelassen wurden, weil es sich um reine Werbefahrzeuge handelte (das sind jedes Jahr mindestens 1-2 Trucks).

Die Teilnahmebedingungen stoßen bei homophoben Organisationen, die nach diesen Regeln ausgeschlossen sind, allerdings auf keine Gegenliebe. Der Grad der „Gegenwehr“ hängt vom Machtstatus und vom Werbeinteresse der Betroffenen ab. Parteien sind offensichtlich deutlich empfindlicher, wenn der CSD sie kritisiert. Das betrifft nicht nur Regierungsparteien, wenn sie ausgeschlossen werden. 2013 haben die Republikaner den Berliner CSD e.V. (erfolglos) verklagt, weil sie auf der CSD-Website als rechtsradikale Partei eingestuft wurden und sich dadurch zu Unrecht zurück gesetzt und verunglimpft fühlten. Das ist nur ein Beispiel, was der Begriff „Verantwortung“ übernehmen, konkret bedeutet.

Ein Punkt der nämlich gerne übersehen wird, wenn einzelne Personen oder die „Community“ als Gesamtheit das „Eigentum“ am CSD für sich reklamieren, ist die Tatsache, dass dieses Eigentum dann auch mit den typischen damit verbundenen Verpflichtungen und Verantwortungen einher geht. So wie ein Hauseigentümer für die Schneeräumung des Bürgersteig, herabfallende Dachschindeln oder geplatzte Rohre und für etwaige Unfälle bei Mängeln haftet, ist bei einer Demo der Veranstalter – trotz fehlenden Eigentums – trotzdem haftbar für diverse Vorkommnisse. In der Realität wird jedoch von zahlreichen Personen und Organisationen versucht den CSD e.V. nicht nur für diese berechtigten Punkte zur Verantwortung zu ziehen. Der CSD e.V. wird gut und gern (und immer öfter) für quasi alles vor, beim, rund um und nach dem CSD verantwortlich zu gemacht und schon mal verklagt – und zwar mit steigender Tendenz.

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Ob das an der stärkeren medialen Präsenz, aber einer Zunahme der Klagefreudigkeit oder an den vermeintlichen, wenn auch nicht existenten CSD Millionen liegt, von denen alle ein ordentliches Stück abschneiden wollen, lässt sich schwer sagen. Da gab es die GEMA, die vor ein paar Jahren mal knapp 30.000 Euro GEMA-Gebühren verlangte, weil der gesamte CSD „ein großes Konzert und die Tarife für Lautsprecherwagen nicht anwendbar“ seien. Die Rentenversicherung, die den CSD als „Werbeagentur“ einstufen und zusätzliche Beiträge einziehen wollte, weil ja das politische Engagement gegen Diskriminierung als „Öffentlichkeitsarbeit für Dritte (homo- und transsexuellen Menschen)“ so wie Werbung oder PR – Homopropaganda eben – zu sehen sei. Oder eine Krankenversicherung, die die Behandlungskosten vom CSD bzw. der Veranstalterversicherung erstattet haben wollte, weil die bei ihr Versicherte drei Tage vor dem CSD in eine nicht ausreichend gesicherte Baugrube entlang der CSD Strecke fiel. Die Logik der Versicherung: CSD Strecke – Baugrube – ungesichert – CSD Verein ist schuld. Einmal sollte der CSD wegen eines Auffahrunfalls am Vortag des CSD zur Kasse gebeten werden, weil die verengte Spurführung der Aufbauarbeiten (vollständig ausgeschildert und markiert) den Unfallverursacher angeblich so verwirrte, dass er gar nicht anders konnte, als dem Vordermann aufzufahren. Alle diese Verfahren gewann der CSD, eines der Urteile ist wegen Berufung noch nicht rechtskräftig.

Daneben muss sich der CSD e.V. mithilfe der Polizei und des Ordnungsamtes gegen Schwarzverkäufer und im letzten Jahr sogar gegen eine 40-Mann starke Truppe aus Osteuropa zur Wehr setzen, die unberechtigt, ungenehmigt aber dreist für angeblich karitative Zwecke und HIV-Opfer am CSD Geldspenden sammelte und dafür auch verhaftet wurde. Hinzu kommen Auseinandersetzungen wegen abgeschleppter Autos in CSD-Halteverboten, TÜV-Probleme und fehlende Ordner bei Demofahrzeugen, Bombendrohungen, klerikale Gegendemonstrant_innen, überhöhte Gebührenabrechnungen, polizeiliche Abbauanordnungen wegen Sturms, ein Brand einer Propangasflasche bei einem Stand, unvorhergesehene Baustellen, Beschädigungen von Büschen, Straßenverunreinigung durch Aufsprühungen, Öl oder sonstige Flüssigkeiten, Sperrmüll durch einfach am Straßenrand abgeladene Wagendeko-Aufbauten, Aufkleber auf Ampelanlagen (auf den Leuchten der Ampel in 5 Meter Höhe, als der Sattelschlepper unter der Ampel durchfuhr), Verletzungen durch Glasbruch der mitgebrachten Sekt- und Bierflaschen (beim CSD Finale herrscht aus Sicherheitsgründen Glasverbot bei allen Ständen), gestohlene Gegenstände und ganz selten sogar versuchte Vergewaltigungen. Die Liste lässt sich noch lange fortsetzen. Manches davon ist versichert, manches lässt sich nicht versichern, manches ist irgendwo zwischen naiv, unbedacht, dumm und vorsätzlich aber auf jeden Fall als ärgerlich und unnötig einzustufen. Bei den wenig glamourösen, langwierigen, mühsamen und unglaublich zeitraubenden Anstrengungen zur Lösung dieser Probleme gab es bisher kaum Unterstützung aus der Community, selbst wenn danach gefragt wurde; ganz zu schweigen davon, dass eine etwaige eigentumsberechtigte „Community“ von sich aus diese Probleme in Angriff genommen hätte.

Jede_r kann seinen eigenen CSD machen! Wer es tut, muss dafür aber auch die Verantwortung übernehmen. Nur dreinreden, jammern und schimpfen reicht da nicht.

 

Lesen Sie morgen: Das CSD Monopol…

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