Gestern war der letzte Tag von Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister von Berlin. Seit 2001 regierte er die Stadt, seit 2000 bin ich einer der Organisator_innen des Berliner CSD. Zeit für eine Rückblende.
Damals zur Jahrtausendwende herrschte Aufbruchstimmung in Berlin. Am SPD Sonderparteitag am 10. Juni 2001, genau zwei Wochen vor dem CSD, sprach Wowereit die geflügelten Worte „Ich bin schwul und das ist auch gut so!“ Damals politisch ein Wagnis, von dem ihm all seine Berater abgeraten hatten. Er wurde trotzdem von der SPD zum Spitzenkandidaten gewählt, erlangte über Nacht bundesweit Berühmtheit, und wurde in der Community zur Identifikationsfigur – zum Vorbild. Er war der erste Politiker in Deutschland, der sich mitten in seiner Karriere im Sprung auf ein Regierungsamt outete. In der deutschen Öffentlichkeit war Homosexualität damals personell eher mit dem Schrillen assoziiert, mit Entertainment-Größen wie Dirk Bach oder Hella von Sinnen. In der Politik war sie ein Außenseiterthema, eigentlich nur von den Grünen authentisch besetzt. Und obwohl die Schröder-SPD mit den Grünen 1998 Schwarz-Gelb stürzten, reichte es für den grünen Vorzeigeschwulen Volker Beck nicht für ein Ministeramt. Schwul war im zwanzigsten Jahrhundert in Deutschland nicht ministrabel.
Auftritt Klaus
Dann kam Klaus und hat es Ihnen gezeigt. Was für eine Chuzpe, einfach so ganz locker und flapsig – wie Klaus eben ist – der SPD, den Berliner_innen, der ganzen Welt sein Schwulsein um die Ohren zu hauen. Und was für eine Schmach für den schwulen Guido, von dem es jeder wusste, der sich wand und rumdruckste und mit aller Gewalt die Türen des Schranks, in dem er seine Homosexualität vor dem Scheinwerferlicht der Medien zu verstecken suchte, von innen zudrückte. Wowereit hatte den Mut zum „Befreiungsschlag“, wie die Medien später über sein Vorgehen urteilen sollten, er veränderte damit tatsächlich die öffentliche Wahrnehmung und leistete einen entscheidenden Beitrag zur schwullesbischentransinter Gleichstellung. Er vermasselte der CDU eine homophobe Schmierenkampagne, den Berliner Boulevardblättern eine Enthüllungsgeschichte und er gab vielen Schwulen und Lesben Mut, offen und selbstbewusst zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen.
Mit „gut so“ wurde er zum Ministerpräsidenten der deutschen Bundeshauptstadt, befreite Berlin vom spießigen, verfilzten Bankenskandalmief und katapultierte die Homo-Bewegung ins 21. Jahrhundert. Er trug damit entscheidend zum Ruf Berlins, nein, ganz Deutschlands in der Welt bei, denn die internationalen Medien hatten plötzlich wieder etwas zu berichten aus der Bundesrepublik: über Wowi, sein Coming-Out und eine Zeitenwende. Diese spießigen Deutschen, die Industrienation, die mit den zwei Weltkriegen, die für Bratwurst und Sauerkraut, für Sandalen mit weißen Socken und grölendes Komasaufen auf Malle bekannt waren, die hatten irgendwie nicht nur den Fall der Mauer friedlich hingekriegt und die Wiedervereinigung mit deutscher Effizienz und Soli-Beitrag organisiert, die hatten jetzt tatsächlich auch noch einen Schwulen zum Oberhaupt der Hauptstadt gewählt. Erstaunlich. Nein, cool! Wer hätte damals ahnen können, dass die positive Besetzung von schwul mit dem harmlosen Nebensatz „und das ist auch gut so“ eine derartige politische Kraft entfalten kann.
Zwei Wochen nachdem Klaus Wowereit die entscheidenden Worte gesagt hatte, war CSD, er war ganz vorne mit dabei und wurde dafür zu Recht gefeiert. Ich erinnere mich noch gut. Berlin hatte einen neuen Regierenden Bürgermeister und die Community eine echte Königin. So geeint wie damals war die Berliner Community wahrscheinlich vorher nie gewesen und danach auch nie wieder.
Realpolitik
Wowereit war damals in der Bevölkerung sehr beliebt, doch die Homophobie hat auch er Zeit seines Amtes nicht vertreiben können. Schon zu seinem Amtsantritt gab es die Schmähbriefe, die Hasskommentare, die untergriffigen Bemerkungen und schmierigen Anspielungen. Diese banale, alltägliche Homophobie kam nicht nur von den deutschen Stammtischen, auch die Medien hatten ihre lieben Probleme mit der Akzeptanz. Sie bedienten alle bekannten Vorurteile und Stereotype von Schwulen: nur Party machen, nicht seriös, zu keiner ernsthaften Beziehung fähig. Die Seitenhiebe auf den Regierenden Partymeister, die krampfhafte Suche nach einer Trennung von seinem langjährigen Partner Jörn, die Skandalisierung eines Grußwortes für das Leder- und Fetisch-Straßenfest Folsom Europe als „gewaltverherrlichend“, seitenweise unterirdisch dümmliche Artikel und eine Bild-Titelgeschichte mit dem Überschrift „Wowereit nicht mehr schwul?“ als er Désirée Nick auf der Aids Gala 2004 küsste. Gestern bei seiner Verabschiedung tat Wowereit das mit der Bemerkung ab: „Über Gerüchte, die falsch sind, kann man lächeln. Schlimm sind die Gerüchte, die stimmen.“
Jan Feddersen schreibt in der taz viele lobende Worte zum Abschied, aber er kritisiert auch, dass Wowereit sich für die Förderung von Homoprojekten nie recht erwärmen ließ. „Klar, es gab immer ein Klima der Gewogenheit, um etwa Projekte gegen antischwule Gewalt zu bedenken. Aber alle lesbischen, schwulen oder trans*-gewirkten Bittsteller wurden freundlich mit Kaffee und Tee bewirtet, aber stets mit der gleichen Frage behelligt: Schöne Idee – aber welches Geld bringt ihr mit?“ Die Kritik ist bis zu einem gewissen Grad berechtigt – auch ich saß schon persönlich mehrmals auf der Couch in seinem Amtszimmer und konnte das hören – aber sie ist nicht ganz fair, denn es gab zahlreiche und namhafte Projekte, die er sowohl Kraft seines Amtes als auch privat förderte.
Selbst sein berühmter Satz „und das ist auch gut so“ entfaltete nicht nur emanzipatorische Kraft, sondern wurde in positivem Sinne zu Community-Geld gemacht. Im deutschen Markenregister sind neun Einträge von Privatpersonen und Firmen aus dem Sommer 2001 zu finden, die versuchten sich ein Markenrecht und damit die kommerzielle Hoheit über das Wowereit-Zitat zu sichern. Diese Versuche scheiterten, doch etliche Firmen, etwa ein bekanntes Möbelhaus und ein Zeitungsverlag, nutzten das Zitat trotzdem in ihren Werbekampagnen. Nur wenige Eingeweihte wissen, dass Wowereit gegen diese Unternehmen gerichtlich vorging, weil sie seine Urheberrechte für ihre eigenen unternehmerischen Zwecke missbrauchten. Die gerichtlich erstrittenen fünfstelligen Schadenersatzsummen packte Wowereit nicht auf sein eigenes Sparbuch, was er hätte tun können, sondern er spendete sie schwullesbischen Projekten. Mann-o-Meter bekam über diesen Weg mehr als 20.000 Euro.
Schwuler Politiker oder schwule Politik
Doch Feddersen hat Recht, wenn er feststellt, dass Wowereit kein Homolobbyist war. Die Initiative für sexuelle Vielfalt, die in Berlin 2009 beschlossen wurde und die nach wie vor Vorbild für ähnliche Kampagnen bundesweit ist, entstammte nicht seiner Feder, die SPD war nicht die treibende Kraft, sie kam vom damaligen Koalitionspartner der Linken. Die Initiative wäre jedoch ohne seine persönliche Unterstützung nicht durchsetzbar gewesen. Mit der CDU als Koalitionspartner änderte sich auch die Berliner Homopolitik. Berlin fiel deutlich zurück, das Klima wurde rauer. Wowereit konnte oder wollte nicht den mühsamen Kraftakt leisten, sich mit Vehemenz gegen die CDU-Poilitik zu wehren.
Wowereit kam nicht aus der schwulen Nischenpolitik, sondern er ist einfach ein Politiker, der eben zufällig schwul ist und dazu auch steht. Gerade bei der Förderung von Homoprojekten ist dieser Umstand nicht unbedingt von Vorteil, denn die scheinbar idealen Voraussetzungen für LGBTI-Projekte unter einem schwulen Bürgermeister können schnell ins Gegenteil umschlagen. Nämlich dann, wenn die Neider, die politischen Gegner, die Homophoben oder einfach Vertreter_innen anderer Minderheiten auf den Plan gerufen werden, sich benachteiligt fühlen und Vettern- oder Misswirtschaft schreien. Solche Unterstellungen bleiben auf jeden Fall haften, sie lassen sich weder beweisen noch widerlegen. Und in der Öffentlichkeit bleibt zumindest ein Verdacht, dass an der Verbindung „schwuler Bürgermeister-Homoprojekt-leichtes Geld“ was dran ist; einfach weil so eine Behauptung logisch und plausibel scheint. Ich war selbst Zeuge für solche Unterstellungen, ganz unverblümt und direkt vorgetragen von einem Berliner Senatsmitglied in Verbindung mit einer anderen Minderheit. Bei Wowereits heterosexuellem Nachfolger Müller wird es diese Möglichkeit nicht geben. Da muss schon etwas mehr auf den Tisch gelegt werden als homophobe Anspielungen. Das macht es zwar für Homoprojekte nicht leichter, aber es trägt zu einer Versachlichung der Debatte bei.
Im Laufe seiner Amtszeit wurde er für viele Dinge kritisiert, manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht. Das liegt einerseits am Amt, er war nun mal als Regierender Bürgermeister für ganz Berlin und damit zumindest indirekt für alle Pleiten und Pannen verantwortlich, die die Berliner Verwaltung in den letzten 13 Jahren hinlegte und davon gab es auch schon vor dem Flughafen einige. Das liegt auch an den Berliner_innen, die dafür bekannt sind, über jede Kleinigkeit unendlich zu nörgeln und zu meckern – ein Vorurteil, das ich als Wiener durchaus nachvollziehen kann. Und das liegt an Wowereits flapsiger Art, die zwar volksnah und locker sein mag, manchmal aber auch verletzend, arrogant oder zickig ankommt.
Hier und Jetzt
Selbst 13 Jahre schwuler Regierender Bürgermeister konnten den gesellschaftlichen Rollback nicht verhindern, der nun in Deutschland deutlich zu spüren ist. Während 2001 Wowereits Spruch „Ich bin schwul und das ist auch gut so“ und seine Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Minderheit als Zeichen von Liberalität, sogar als etwas hippes, cooles, meist positiv gefeiert wurde, ist davon 2014 nichts mehr zu spüren. Bei Wowereits Nachfolgerdebatte bekamen weder der offen schwule Parteivorsitzende der SPD Berlin, Jan Stöß, noch der SPD-Fraktionsvorsitzende mit palästinensischem Hintergrund, Raed Saleh, einen „Minderheitenbonus“ wie einst Wowereit. „Wenn wir alle Minderheiten in Berlin addieren, ist es unzweifelhaft die Mehrheit“ sagte Wowereit gestern bei seiner Verabschiedung. Das mag irgendwie stimmen, aber doch geht die Gleichung nicht auf. Denn die Minderheiten lassen sich nicht einfach so addieren (oder wollen sich nicht addieren lassen), obwohl dies heute wohl nötiger wäre denn je, um den reaktionären Kräften in allen Teilen der Gesellschaft Paroli zu bieten. Berlin wurde in den letzten Jahren nicht cooler sondern kühler.
Michael Müller mit seiner sehr sachlichen und nüchternen Art hat heute den Regierenden Partymeister Wowereit beerbt. Müller hat sich schon im Vorfeld sehr deutlich und sehr glaubhaft für eine offene und unterstützende Politik der LGBTI-Community ausgesprochen. Die wird auch nötig sein, denn in der Nachfolgerdebatte kamen unschöne, gar hässliche und hasserfüllte Ressentiments wieder hoch. Mit einem Leserkommentar aus der ZEIT, lässt sich die „Volksmeinung“ recht deutlich illustrieren: „Weiblich, schwul, schwarz, muslimisch, außerirdisch, das sind die Kriterien, die uns interessieren. … Wen interessieren denn bei solch einer Wahl Inhalte?“ Wahrscheinlich begegnet man solchen Aussagen am besten mit einer sachlichen und nüchternen Politik, wie der „Neue“ sie repräsentiert.
Wowereit ist gegangen. Die Party ist vorbei. An die Arbeit.