Zeitweilige Übergangsregelung für die ständige Teilnahme am CSD! (Teil 5: Ziele, Ausschlüsse und Geld)

20/11/2014 — Hinterlasse einen Kommentar

CSD_Himmel_HoelleAbschnitt 5

§ 6. Ziele und Finanzierung

Schwierig wird der Entscheidungsprozess und die vielen praktischen Konsequenzen, die sich aus jeder Änderung beim CSD noch ergeben werden. Einige bereits genannte Vorschläge sind schlichtweg unvereinbar, z.B. ein CSD mit oder ohne Wagen. Bei diesen Entweder-Oder-Problemen stellt sich „nur“ die Frage, wer das überhaupt entscheiden soll. Die kniffligeren Probleme – und damit die größten Hürden für die praktische Umsetzung und gleichzeitig das größte Streitpotenzial – liegen in genau den Diskussionen, die seit Anbeginn des CSD geführt werden und da insbesondere in den konkreten Details: Was ist das eigentliche „Gesamt-Ziel“ des CSD – Vielfalt zeigen, die Community feiern, ein gemeinsames politisches Ziel durchsetzen und wo führt das zu Widersprüchen? Wie werden thematische Inhalte bestimmt und schließen sie sich gegenseitig aus? Wie soll demonstriert werden – fröhlich, bunt, musikalisch oder seriös, angezogen und ernsthaft? Wer soll das bezahlen – die Teilnehmenden, die Zuschauer_innen, der Staat, die Sponsoren? Wer soll die Arbeit machen? Wer darf, soll und muss Entscheidungen treffen und wer darf, soll und muss dafür die Verantwortung übernehmen? Das sind nämlich genau die Punkte an denen der eingangs formulierte Wunsch nach Einigkeit, Stärke, Harmonie, Inhalts- und Zielübereinstimmung zerplatzt – zerplatzen muss.

Selbst wenn irgendjemand in der Lage sein sollte, eine Mehrheitsentscheidung eines wie immer gearteten „Community-Parlaments“ herbeizuführen, bleibt das sehr reale und unlösbare Problem der Durchsetzbarkeit. Inhalte lassen sich nämlich einfach nicht verordnen, oder sollen in Zukunft Transparente, die nicht zum „zentralen Thema“ passen konfisziert oder Drag Queens und Lederkerle, die einem etwaigen „Seriositätsbeschluss“ widersprechen, ausgeschlossen werden? Dass es sich dabei um keine abstrakten Diskussionen handelt, sondern ein sehr reales Problem wird spätestens dann klar, wenn man den Ursprung und die Entwicklung des transgenialen CSD betrachtet. Dort sind nämlich grundsätzlich staats- und unternehmensnahe Gruppen ausgeschlossen. Ganz im Stil des Klassenkampfes dürfen weder LGBTIQ Polizist_innen, Banker_innen oder auch Parteienvertreter_innen in offizieller Funktion daran teilnehmen, Nationalfahnen sind verboten. Das ist in sich konsequent, wenn das Ziel der Systemrevolution zum grundlegenden CSD-Ziel erhoben wird und damit gegen alle „ausbeuterischen, kapitalistischen oder imperialistischen“ Elemente demonstriert wird. Damit werden aber auch rein lesbischwuletransinter Themen zu einem hohen Grad zum Nebenthema – quasi einem marxistischen Nebenwiderspruch. Diese sehr spannende und hochtheoretische Debatte möchte ich hier allerdings auf die rein praktische CSD-Bedeutung und greifbare Erfahrungen begrenzen.

Vereinfacht und beispielhaft gesagt: Aus dem linken/alternativen Lager kommt Kritik am (homonationalistischen) CSD, dass etwas die Polizei oder Banker_innen mitlaufen dürfen. Das sei böse, weil doch die Polizei (in Deutschland begrenzt in anderen Teilen der Welt sogar sehr stark) gegen queere Menschen vorgeht. Außerdem geht die Polizei gegen Asylbewerber, sozial Schwache und andere Minderheiten vor und queere Menschen müssen aus Solidarität mit diesen Gruppen, die Polizei aus ihren Reihen ausschließen. Gleiches gilt für Banken, die ihre Mitarbeiter_innen unmittelbar ausbeuten, mittelbar über das unmenschliche Kapital dafür auch im gesamten Wirtschaftsleben verantwortlich sind und mit Nahrungsmittelspekulationen, Gentrifizierung, Finanzprodukten zum Hunger der Welt, der Verdrängung aus dem eigenen Lebensraum und dem Wachsen der Einkommensschere beitragen. Durch derart „asoziales“ Verhalten verwirken die Banken ihr Recht zur Teilnahme am CSD. Denn der CSD müsse über den lesbischwulentransinter Tellerrand hinausschauen und sich dieser Themen annehmen. „Lesbischwultransinter ist nicht abendfüllend,“ heißt es.

Mit genau dem selben Argumentationsmuster, aber vom konträren ideologischen Ende fordert der rechte/konservative Teil der Community den Ausschluss der Bevölkerungsgruppen, die nicht in ihre Ideologie passen. Der (linkskommunistische) CSD müsse in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Da sei der Islam – und alle muslimischen Menschen – eine homophobe Gefahr, die bekämpft werden müsse. Genauso wie der „Genderwahn“, der die natürlichen Gegebenheiten zwischen Mann und Frau verwische. Wesentlich kompetentere Männer würden bei Jobs zugunsten von Quotenfrauen übergangen. Die übermäßige Sexualisierung, sexuell provokante Darstellungen (seien es nur Drag Queens und Lederkerle) ebenso wie Alkohol- und Drogenkonsum würden die Seriosität und damit den CSD insgesamt in Frage stellen, weil sie die Ordnung und den Frieden in der Gesellschaft untergraben. „Man kann sich nicht nur über die sexuelle Orientierung definieren, sondern muss als Mensch in der Gesellschaft (Gesamt)Verantwortung übernehmen,“ heißt es aus der konservativen Ecke.

Das Grundproblem bei beiden Zugängen – nämlich die Einteilung in Gut und Böse wird kein CSD lösen können. Der Unterschied zwischen „Zumutung“ und „zumutbar“ mag orthografisch nur in den drei kleinen Buchstaben am Wortende liegen, in der Konsequenz wird die jeweils sehr individuelle Definition der Begriffe zum unlösbaren Dilemma jedes CSD-Veranstalters. Denn vom CSD-Veranstalter wird logischerweise gefordert, dass die „Bösen“, die „Unzumutbaren“ natürlich nicht mitmachen sollen. Die Kompromissbereitschaft zwischen links und rechts bzw. alternativ und konservativ ist dabei sehr begrenzt. Hätte ich eine probate Lösung für diese messianische Aufgabe, wäre ich kaum CSD Geschäftsführer. Die Lösung liegt nämlich in einem akzeptablen Kompromiss, den die Community – sowohl als Gesamtheit als auch jede_r individuell – finden muss, was Gut und was Böse ist. Wie immer das funktionieren soll.

Selbst die noch viel profanere Finanzierung eines CSD lässt sich nicht anordnen. Staatsknete mache förder- und politikabhängig, Sponsoren würden den CSD übernehmen und wirtschaftlich missbrauchen. Wagenumlagen für Trucks belasten nur die armen Gruppen, die sich mühsam einen Sattelschlepper zusammen gespart haben und Einzelpersonen und Zuschauer_innen bei der Demo dürfen schon wegen der grundgesetzlichen Versammlungsfreiheit nicht zur Kasse gebeten werden. Aber glaubt jemand ernsthaft, dass ein werbe- und förderfreier CSD mit Eintrittsschleusen und „CSD-Tickets“ à la öffentlicher Nahverkehr bei dem allen Teilnehmer_innen ein imaginärer Soli-Euro abgenommen wird, auch nur die geringste Chance auf Erfolg hat? Mein Marketingvorschlag für diese Idee: das „Mitten im Verkehr-Ticket“ für Teilnehmende und für randständige Zaungäste der „Voyeur-Pass“ im Abo für Berlin, Hamburg und Köln mit Payback-Punkten. Bevor jetzt clevere Kommentator_innen mit dem Begriff „freiwillig“ oder Spenden antanzen, verweise ich auf die Erfahrungen des Aktionsbündnisses 2014 und natürlich auf alle „freiwilligen“ Selbstverpflichtungen in diesem Land – von Frauenquoten, Ökostandards, diskriminierungsfreien Szenen, usw., usw. Sollte das die Zweifel nicht zerstreuen, dann bitte ich um durchdachte, komplett ausgearbeitete und schriftliche Konzepteinreichungen, damit wir die Machbarkeit bewerten und das Konzept auch ernsthaft in die Diskussion bringen können. Dieser letzte Satz ist übrigens nicht zynisch sondern völlig ernst gemeint, denn ein Funken Glaube an gemeinschaftliche, kooperative Konzepte wohnt selbst mir noch inne.

 

Lesen Sie morgen: Regelungen für Streitfälle…

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