Verlautbarung der Generalsekretärin des CSD-Politbüros
Zeitweilige Übergangsregelung für die ständige Teilnahme am CSD!
Abschnitt 1
Präambel
Jedes Jahr aufs Neue wird um und über den CSD gestritten. Das können viele nicht verstehen, soll der CSD – so zumindest der mehr oder minder deutlich formulierte Wunsch – doch die eine gemeinsame, starke, harmonische Aktion im Jahr sein, mit der
(a) die wahre Vielfalt in der Community allumfassend aufgezeigt,
(b) die Community und ihre Errungenschaften angemessen gefeiert werden,
(c) mit der alle zusammen sowohl für die gemeinsamen politischen Ziele demonstrieren,
(d) als auch in geeinter Stärke individuelle Einzelthemen durchsetzen.
Diese Definition würden 99,5% der „Community“ sofort unterstützen. Sie enthält alle Elemente des Ideal-CSDs: Politik & Party, Solidarität & Individualität, Vielfalt & Einigkeit, Anpassung & Revolution. Klingt doch fantastisch. Problem gelöst. Ab sofort muss nie wieder über den CSD gestritten werden. Ein kleiner Vermerk sei gestattet: Die verwendete Definition, die völlig unschuldig und konfliktfrei den Ideal-CSD beschreibt, IST fantastisch – jedoch nicht im Sinne von hervorragend sondern leider im Sinne von utopistisch oder gar verblendet. Jede_r hat nämlich eine ganz eigene Vorstellung, was die glänzenden Schlagworte und blumigen Adjektive wirklich bedeuten, wie der richtige Weg zum Ideal-CSD verläuft und welche Maßnahmen dafür gesetzt werden müssen. Und das ist auch der Grund, warum bei jedem CSD auf der Welt jedes Jahr gestritten wird; manchmal mehr, manchmal weniger, manchmal hinter den Kulissen, manchmal auf offener Bühne. Das, was 2014 in Berlin passierte, ist der beste Beweis dafür.
Bevor wir in medias res gehen und Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, als einer der ersten Menschen der Welt, den bisher geheimen 12-Punkte-Plan der Selbsthilfegruppe für anonyme CSD-Macher_innen zu Gesicht bekommen, möchte ich mich bei den Facebook-Trollen, queeren Politiker_innen und Aktivist_innen und bei den Homo-Medien bedanken, die seit Anfang 2014 durch die Verbreitung und Skandalisierung von Fehlinformationen und Gerüchten den Berliner CSD-Streit 2014 erst so richtig befeuerten – und es zum Teil immer noch tun. Das ist weniger zynisch gemeint, als es klingt, denn erst die besonders haarsträubenden und absurden Aussagen und Handlungen dieser Akteur_innen haben dazu geführt, dass Zweifel aufkamen und viele Menschen in der Community jetzt genauer hinschauen, sich selbst ein Bild über die tatsächlichen Umstände verschaffen, sich Gedanken über den CSD machen und sich aktiv einbringen. Das jüngste Beispiel für die Art und Weise wie sachbezogen und lösungsorientiert „Kritik“ formuliert wurde und welch absurde „Argumente“ eingebracht wurden, ist das Foto vom CSD-Politbüro, dass ich kurzerhand als Aufmacherfoto für diese Artikelserie zum CSD-Streit verwende. Einige der abgebildeten Personen aus dem CSD Team waren darüber irritiert, ich habe schallend gelacht. Schade nur, dass die hier offensichtlich brach liegende Kreativität der „Kritiker_innen“ nicht in politische Aktionen zum CSD (oder auch abseits des CSD) gesteckt wird, sondern nur für Verunglimpfungen vergeudet wird.
§ 1. Anwendungsgebiet und Grundsätze
Der Berliner CSD-Streit 2014 ist weder ein singuläres Ereignis, zu dem es manche Beobachter_innen oder Beteiligte gerne hochstilisieren, er ist auch nicht Berlin-spezifisch und die konkreten Personen, die darin involviert waren, sind austauschbar. Weder die vorgeschobenen Gründe (Demokratisierung, Transparenz, Community-Einbindung und die Verhinderung von Bereicherung) noch ihre tatsächlichen Entsprechungen in der Community-Realpolitik (Macht, Einfluss, Egos und Geld) waren neu oder ungewöhnlich. Um die Inhalte wird im CSD-Kontext sowieso seit jeher unter den Stichworten Politisierung, Kommerzialisierung, Ziele, Vielfalt und Teilhabe gestritten – für den Berliner CSD Streit 2014 waren sie jedoch nicht maßgeblich, weil der Streit gar nicht bis auf die inhaltliche Ebene gelangte.
Hier einige Beispiele zur Universalität, Vergleichbarkeit und (offensichtlich unvermeidlichen) Wiederholung von CSD-Streitigkeiten aus anderen Teilen der Welt: Heftige und zum Teil genauso unterirdische Diskussionen wie aktuell in Berlin, inklusive der bösartigen frauenfeindlichen Kommentare, gab es bei der versuchten Umbenennung des CSD München in „Christina Street Day“ im Jahr 2011. Nur ein Jahr später führte ein vergleichsweise freundlicher Brief des CSD Hamburg an die CDU und FDP zu Streit. Der Hamburg Pride legte diesen beiden Parteien nahe, freiwillig auf eine CSD-Teilnahme zu verzichten, weil ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag kurz vor dem Hamburger CSD (gegen die Eheöffnung/gleichstellung) nicht mit den CSD-Zielen vereinbar wäre (das Hamburger CSD-Motto 2012: Ehe 2.0 – nach den Pflichten jetzt die Rechte). CDU und FDP reagierten empört bis zickig, stellten sogar die Gemeinnützigkeit des Vereins in Frage. Ähnliches passierte bei dem CDU-Rauswurf in Berlin im Jahr 2013. International gab es 2012 sogar eine unmittelbar vergleichbare Berlin-ähnliche Kombination aus Gerüchten, Vorwürfen, Parteiinterventionen und renitenten Behörden: den WorldPride London 2012. Der britische Hauptstadt-CSD wurde mit Vorwürfen der Bereicherung und Intransparenz überzogen, Wagen in der CSD Parade und die üblichen Straßenpartys im Stadtzentrum wurden von den Behörden aus „Sicherheitsgründen“ untersagt und der Londoner Bürgermeister drohte mit Förderungskürzungen, wenn die Rednerliste der politischen Abschlusskundgebung nicht mit dem Rathaus akkordiert und kritische Redner – etwa Peter Tatchell – ausgeladen würden. Das relativ neue, unerfahrene und völlig überforderte Team des London Pride warf kurz vor dem Event das Handtuch und trat geschlossen zurück, der World Pride fuhr gegen die Wand.
Einen CSD zu wuppen, ist komplexer, als die meisten denken. Die Probleme, Ansprüche und Zwistigkeiten sind zwar mit etwas Erfahrung vorhersehbar, lassen sich jedoch selten verhindern. Das besondere am Berliner CSD-Streit 2014 war lediglich die Vehemenz, die extrem öffentliche Austragung und die ungewöhnliche – wenn auch brüchige – Koalition, die sich gegen den CSD formierte.
Lesen Sie morgen: Begriffsinterpretationen und schuldhaftes Verhalten…
Ich fand euch 2013 kacke und 2014 toll. Und es ist doch gute alte Sitte, den CSD der eigenen Stadt zu „trollen“. Und die Anti-CSD e.V.-Koalition aus dem Sommer ist zerbrochen. Wünsche dem Berliner CSD jedenfalls viel Erfolg und gutes Gelingen für 2015. Zur Vielfalt gehören eben auch Zank, Punk, Kitsch und Tand dazu. Weitermachen.